Godesberger auf Grand Tour
Auf einer gemütlichen Mittsommerausfahrt vor einem Jahr, bei Hammerstein etwa, kam die Frage auf: Wohin soll es nächstes Jahr einmal gehen? Aufwärts nach Koblenz, St Goar, Mainz, abwärts von Speyer oder Rhein-fern nach Mecklenburg? Warum nicht gleich den großen Sprung über die Alpen wagen – erst war es nur eine Idee, aber Dirk und Steffi rissen uns mit. Zuhause musste gleich recherchiert werden, und die Begeisterung wuchs: Ich kannte Venedig schließlich nur aus dem Fernsehen, klischeehaft mit pastellgefärbten in die Jahre gekommenen Häusern neben einem Gewirr von Kanälen, Gässchen, Brücken und zwischendrin Gondeln. Das online im Film zu genießende bunte Treiben ohne Rennambitionen während der wenigen Stunden im Jahr, die der motorisierte Verkehr (weitgehend) ausgesperrt ist, motivierte zur Teilnahme am Geburtsort des Begriffs „Regatta“.
Schnell war klar, dass Pfingsten in Venedig Hochsaison ist und die besten Unterkünfte schon im Herbst schnell ausgebucht sind, auch günstige Flüge waren für Spätentschlossene nicht mehr zu erwarten. Daher fragten wir frühzeitig herum, ob wir wohl ein zweites Boot zusammenbekämen – es stellte sich heraus, dass das überhaupt kein Problem war. Zum Stichtag sicherten sich die meisten Mitrudernden eine Unterkunft auf dem Campingplatz Serenissima in Mestre. Rund um Ostern 2022 wurde es dann erst wirklich ernst: Registrierung von sechs Booten (bevor die maximale Teilnehmerzahl erreicht würde), und dann kam die Feinplanung der Materialschlacht, vor allem: Wann fährt der Bus und mit wem? Steffi F hatte von Anfang an zugestimmt, den Bus zu steuern, eine Zwischenunterkunft für den Hinweg war schnell zu finden. Wie das Parken und die Wasserung in Venedig ablaufen würde, war vorab nicht zu klären – mediterrane Gelassenheit hat erstaunlich gut funktioniert. Es stellte sich heraus, dass am Campingplatz eine Fläche für Bootshänger vorgesehen war (natürlich kennen die den alljährlichen Zirkus), überhaupt wurden wir dort ausgesprochen freundlich begrüßt. Die für Ruderboote und Hänger vorgesehene Fläche in Venedig am Tronchetto wurde am Freitag vor Pfingsten mitgeteilt, die Startnummern bekamen wir am Samstag, irgendwie ergab sich alles nach und nach.
Zwischendrin nutzten Steffi, Ruth und ich den Freitagnachmittag für einen Schnelldurchlauf Venedig, ideal war der kurz vor unserer Ankunft durchgezogene Regenschauer: Es war leer in der Stadt, man konnte fast den Coronaabstand beim Spazieren einhalten. Für die am Freitagabend per Flieger kommende Gruppe gab es Nudeln (wieder einmal Dank an Steffi und Ruth), unter freiem Himmel in großer Runde ein schöner erster Abend. Nach und nach trafen auch alle anderen ein mit Auto, Taxi, Bus, Wohnmobil; gefühlt war ein Viertel des Campingplatzes in Godesberger Hand.
Den Samstag haben fast alle für einen ausgiebigen Stadtbesuch genutzt. Auch mit Gondeln (zum Beispiel den Traghetto-Querverbindungen über den großen Kanal) und Wasserbussen (Vaporetti) sind viele gefahren und hatten schon einmal eine Einstimmung auf das Revier des Pfingstsonntags. Ob es genauso wild zugehen würde wie im normalen Touristenverkehr vor dem Markusplatz? Würden wir mit den Wellen eines vorbeiflitzenden Feuerwehrboots umgehen müssen? Einen Alarmstart bekamen wir als Zuschauer von der Brücke direkt an der Wache geboten und waren froh, nicht unten im Gigboot zu sitzen.
Für die 25 WSVG-Teilnehmer von „Serenissima“ (Helbings hatten eine Unterkunft in der Stadt) begann der große Tag, Pfingstsonntag, um halb sieben an der Bushaltestelle (nebenbei bemerkt: Eine gute Uhrzeit zum Rudern). Gegen halb acht wurde aufgeriggert, und wenig später hieß es „Ans Boot, alle anfassen!“: Der eine vorhandene Steg war belagert, unsere Boote gingen wie die der holländischen Vereine nebenan von einer 2m hohen Uferkante über Matsch und Steine ins flache Wasser. Alle fluchten, mehrere Schuhe wären gerne im Schlick geblieben, es hat aber funktioniert. Zum traditionellen Kanonenschuss-Startsignal waren wir zwar gerade erst losgerudert, hatten dafür aber noch den ganzen großen Kanal vor und für uns: Das große Feld erreichten wir erst eine Weile später. So konnten wir staunend unter der Rialtobrücke durchgleiten und hatten freie Fahrt für das erste Stück. Da der große Pulk schon weg war, übten wir vor dem Lido das Annehmen anständiger Wellen, denn die Berufsschifffahrt wollte die Lagune wieder nutzen. Die offene Adria war nur einen Kilometer entfernt, das Salz lag in der Luft und später auf allen Bootsoberflächen.
Sobald wir an das große Feld (mehr als 1800 Boote aller Größen, Wasserfahrräder und Stand-Ups bis zu wuchtigen Wikinger- und Drachenbooten) angeschlossen hatten, ging es dafür gemütlich oder besser gesagt gemächlich voran. Es kam kein Fahrtwind auf, die Sonne brannte kräftig – selbst schuld, wer im Juni in Italien den ganzen Tag draußen unterwegs sein will. Der sich zwischen Inseln durchschlängelnde Parcours spielte zusätzlich Schabernack mit meinem Orientierungssinn. Das war zum Glück nicht schlimm, vor uns war der Weg kaum zu verfehlen. Die Einfahrt nach Venedig war dann eindeutig gekennzeichnet durch ein Chaos an Wasserfahrzeugen, da war alles noch einmal zu sehen und zu hören, alle wollten schnell in den engen Kanal, bevor die Abdrift das Boot aus der Schlange wirft. Polizisten an beiden Uferseiten der engen Kanaleinfahrt brüllten und pfiffen – Lokalkolorit, wirkungslos, die Hälfte der Teilnehmer verstand doch ohnehin kein Italienisch. Etwas mehr Durchsetzungsvermögen hatten die Taucher, besonders hilfreich waren sie für unser Boot zumindest nicht. Wir nutzten die Warterei für Geplänkel mit Mannschaften aus Köln und Münster und schimpften gemeinsam auf die Drachenboote und deren besonders rücksichtslose pink angezogene Besatzung. Wie lange wir auf die Kanaleinfahrt warteten, kann ich nicht sagen – es muss wohl mehr als eine Stunde gewesen sein. Dafür war danach entspanntes Rudern wieder möglich. Die letzten Kilometer führten noch einmal durch den großen Kanal bis zum Markusplatz, wo uns Medaillen und Urkunden ins Boot zugeworfen wurden.
Es war erwartungsgemäß nicht einfach, die Boote am Startplatz wieder aus dem Wasser zu bekommen. Glücklicherweise konnten wir nach kurzem Warten den Steg benutzen (eigentlich untauglich für Ruderboote, nur mit viel Kraft und über ein hohes Geländer geht es), und auch die benachbarten Holländer packten mit an. Die allgemeine Aufbruchstimmung ließ uns zügig werkeln, bald war der Hänger beladen, ein letzter Blick im Rückspiegel auf „Die Durchlauchtigste“… was für ein fantastischer Tag.
Ich danke allen Mitwirkenden herzlich, ganz besonders meiner Mannschaft, Bea, Dirk, Kathrin L und Steffi F, die aus einer nur halb ernsten Idee eine unvergessliche gemeinsame Reise hat werden lassen.